Gewagtes verfasste Autor „cel“ unter dem Titel „50 Jahre Kassette: Ein halbes Jahrhundert Bandsalat“ am 28. August 2013 auf CHIP Online. Die Ăberschrift mag originell klingen, aber Bandsalat gab es bei meinen an die 400 Compact Cassetten höchst selten. Das mag als journalistische Wortspielerei durchgehen, nicht aber die Behauptung: „Bis zur EinfĂŒhrung der Kassette und des dazu gehörigen ersten Kassettenrekorders … waren TonbandgerĂ€te fĂŒr Privatanwender völlig unattraktiv.“ Aus eigener, noch gut funktionierender Erinnerung weiĂ ich, dass TonbandgerĂ€te bis zur MarkteinfĂŒhrung der Kassette zwar teuer waren, sich aber groĂer Beliebtheit erfreuten. Immer wieder erhalte ich E-Mails, in denen damals junge KĂ€ufer beschreiben, dass sie lange gespart haben, aber schlieĂlich ihr Wunsch-UHER glĂŒcklich in Empfang nehmen konnten. Das waren wahrhaftig keine EinzelfĂ€lle, und es gab ja weit mehr TonbandgerĂ€tehersteller als UHER. (KassettengerĂ€te förderten logischerweise nicht den Verkauf von SpulentonbandgerĂ€ten sondern machten ihnen â auch intern bei UHER â heftige Konkurrenz.)
Im CHIP-Forum und im Bandmaschinen-Forum wurde das Thema intensiv diskutiert. Autor „cel“ schrieb mir auf Anfrage, er stehe nach wie vor zu seiner Aussage. Daraufhin forderte ich ihn auf, die Belege meiner Sicht zu widerlegen (Auszug):
… zu den laut Ihnen bis zur EinfĂŒhrung der KassettengerĂ€te „völlig unattraktiven“ (Spulen-)TonbandgerĂ€ten, hĂ€tte ich von Ihnen mehr erwartet als die Wiederholung Ihrer Behauptung. Damit ich Ihnen die abnehme, mĂŒssten Sie meine Thesen unter Benennung von Quellen widerlegen. Ich nenne Belege fĂŒr meine Sicht:
- Allein UHER hat von 1962 bis 1971 knapp eine Million TonbandgerĂ€te verkauft. (Andreas Flader, Peter Remmers: „Die Geschichte der UHER-Werke MĂŒnchen“, 2008)
- „Der Bohrmaschine dicht auf den Fersen, strebt die Verbreitung des Tonbands in den 1960er Jahren ihrem Höhepunkt zu.“ (Zur Sendung âSag doch auch mal was! âŠâ, Deutschlandradio, 1998)
- In Deutschland einschl. West-Berlin wurden pro Jahr ca. 1 Million TonbandgerĂ€te [professionelle GerĂ€te unberĂŒcksichtigt] hergestellt. Ca. 1/3 davon gingen in den Export, der Rest wurde in der BRD einschl. West-Berlin verkauft. Hauptnutzer seien die 15-bis 25-JĂ€hrigen gewesen. Am Markt gab es etwas ĂŒber 50 Modelle mit Preisen von DM 250,- bis DM 2000,-. (Quelle: Die „Tonbandfibel“ aus der Serie „Der gute Tip“, 3. Auflage von 1967, Erstausgabe 1965)
- „AbschĂ€tzungen des Bestandes an TonbandgerĂ€ten in der BRD (Ende 1962 ca. 5 … 6 Mio. GerĂ€te, SĂ€ttigungsgrad 25 % der Haushalte); Tonband eines der wichtigsten Medien der Information und Dokumentation, kulturpolitischer Faktor ersten Ranges (so eine Stellungnahme des Bundesrates anlĂ€sslich Ablehnung einer VergĂŒtungspflicht fĂŒr private Bandaufnahmen).“ (Folgen einige Angaben zum TonbandgerĂ€tebestand im europĂ€ischen Ausland.) Die japanische TonbandgerĂ€teindustrie hat die deutsche bereits ĂŒberflĂŒgelt (1961 BRD 750.000, JP 890.000 und 1962 1.35 Mio GerĂ€te). Weltumsatz (Basis Fabrikabgabepreise) an TonbĂ€ndern inkl. Typen fĂŒr technische Aufzeichnungen 1962 ca. 400 Mio DM, davon in USA 50 % mit Zuwachs von 20 % p.a.. In USA im Jahr 1960 8, 1962 16 Bandhersteller; 3M hat 50 % Anteil (davon wieder ca. 45 % mit Instrumentations-, Computer- und Video-Band). In Europa 10 Bandhersteller, davon BASF der gröĂte in Europa, zweiter nach 3M; EMI an 3. Stelle. Ostblock produziert neben Agfa Wolfen auch in Russland, Polen, Ungarn, CSR.“ (Ludwig Trainer, Leiter der Magnetophonband-Verkaufsabteilung der BASF, in „Die Tonbandindustrie in Deutschland und in der Welt“, 1962)
- „In den 1960er-Jahren jedoch fielen die Preise, sodass SpulentonbandgerĂ€te bald in vielen besser ausgestatteten Haushalten zu finden waren.“ (Wikipedia)
Nachdem „cel“ eine Stellungnahme dazu nicht fĂŒr nötig hielt und die CHIP-GeschĂ€ftsleitung nicht reagierte, habe ich mein CHIP-Abonnement schlieĂlich gekĂŒndigt. Der Unsinn von den „bis zur EinfĂŒhrung der Kassette völlig unattraktiven TonbandgerĂ€ten“ steht immer noch bei CHIP Online.
Nachtrag: Die Angelegenheit habe ich zum Anlass genommen, den Abschnitt „Geschichte“ des Wikipedia-Artikels „TonbandgerĂ€t“ grĂŒndlich zu ĂŒberarbeiten. (Friedrich Engel, Co-Autor des Buchs Zeitschichten: Magnetbandtechnik als KulturtrĂ€ger Erfinder-Biographien und Erfindungen hat mir dabei wertvolle UnterstĂŒtzung geleistet.) Das MĂ€rchen von den fĂŒr Privatanwender völlig unattraktiven TonbandgerĂ€ten dĂŒrfte damit endgĂŒltig und grĂŒndlichst ad absurdum gefĂŒhrt sein. Und ich komme ohne Entzugserscheinungen ohne CHIP aus …